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Kranke Mediziner suchen den Erfahrungsaustausch

Der Arzt – ein ungeliebter Patient

BERLIN – Auch Ärzte können krank werden. Das ist eine Tatsache, die Doktoren gern verdrängen. Zumindest bis zum Ernstfall. Denn dann heisst es Farbe bekennen und einen Kollegen konsultieren – ein Schritt, der in der Regel viele Probleme mit sich bringt. Denn es zeigt sich: Ein Arzt als Patient ist nicht gern gesehen.

1999 veröffentlichte der Heidelberger Allgemeinarzt Dr. Thomas Ripke seine Gedanken zum Thema "Der kranke Arzt – Chancen zum besseren Verständnis der Patienten" im "Deutschen Ärzteblatt". Er erzählte mit leichter Selbstironie von Dr. Schmidt, der irgendwann krank und somit vom Arzt zum Patienten wird. Stark gerafft entwickelt sich die Geschichte so: Während sich der junge Schmidt als Medizinstudent angesichts vieler theoretisch betrachteter Krankheitssymptome zum Hypochonder entwickelt, weiss der gestandene Dr. Schmidt später, dass ein Arzt gesund zu sein hat. Die Folge: Er ignoriert echte Krankheitszeichen, bis er die Wahrheit nicht mehr verdrängen kann.

Mehr Mitbehandler als Patient

Nur wenn die Eigenbehandlung nicht mehr fruchtet, wird ein anderer Arzt konsultiert. Ein echter Patient ist Dr. Schmidt allerdings nicht, eher "kompetenter Mitbehandler". Erst als es ihm immer schlechter geht, will er nicht mehr hören, dass er am besten wisse, was für ihn gut sei. "Er möchte, dass sein Vertrauensarzt ihm verständnisvoll und warmherzig zuhört, sich aber auch – wenn es medizinisch angemessen ist – ihm gegenüber durchzusetzen versucht", beschreibt Dr. Ripke die Gefühle, die er als Krebskranker nur allzu gut kennt. Dr. Ripke erhielt viele Zuschriften von Ärzten, die gleiche Erfahrungen gemacht haben. Im Mai 2001 organisierte er deshalb einen bundesweiten Workshop zum Thema "Der kranke Arzt". Er regte hier u.a. die Bildung von "Selbsterfahrungsgruppen" an. Inzwischen gibt es sie. Es besteht sogar ein kleines bundesweites Netzwerk von Gemeinschaften, die sich mehr oder weniger regelmässig treffen. Zu finden sind die Adressen im Internet (www.der-kranke-arzt.de). Dr. Ripke hat Pionierarbeit geleistet, fortsetzen konnte er sein Werk nicht. Er starb im Dezember 2001. Jetzt hält sein Freund Dr. Hans-Jürgen Gaber die Fäden in der Hand. Es kommen, wie er sagt, noch immer viele Anrufe von Kollegen, "die durch ihre schwere, oft lebensbedrohliche Krankheit sehr vereinsamt sind". "Ärzte dürfen einfach nicht krank sein, psychisch krank schon gar nicht, das ist auch meine persönliche Erfahrung", so der Gütersloher Psychiater. Die Vorurteile seien "sehr stark", nicht nur bei Kollegen, auch bei den Patienten. Wer wolle sich schon von jemand heilen lassen, der bei sich selbst versagt.

Reden über Pannen der Kollegen

In Sachsen gibt es die jüngste Gruppe im Netzwerk. Anstoss zum Treffen gab im vergangenen Jahr die Freiberger Psychotherapeutin Dr. Marie-Luise Kreher. Zweimal haben sich die Ärzte inzwischen getroffen. Sie sprachen über ihr Leben als schwer und chronisch Kranke, über Sorgen um den Job, über Patienten und Bekannte, die sich zurückziehen. Berichtet wurde vor allem über Probleme mit Berufskollegen, speziell mit den behandelnden Ärzten. "Von Pannen in Diagnostik und Therapie wurde erzählt, von lückenhaft erhobenen Anamnesen und unzureichenden oder gänzlich wegrationalisierten Aufklärungen vor Operationen", sagt Dr. Kreher. Es sei zudem über eine "gewisse ablehnende Haltung" seitens der aufgesuchten Mediziner die Rede gewesen. Sie scheuten sich vielfach, einen Berufskollegen zu untersuchen und zu behandeln. Das liege wohl in der Angst vor dem Sichtbarwerden eigener Wissenslücken und fachlicher Defizite begründet, vermuten die Betroffenen.

Selbst schuld, wenn man krank wird?

Kranke Ärzte fühlen sich aber nicht nur als Patienten nicht akzeptiert. "Auch zeigten einige Kollegen nach Bekanntwerden einer schweren Erkrankung wenig zwischenmenschliches Verständnis und menschliche Zuwendung", sagt die Freiberger Therapeutin, die seit vielen Jahren an einer chronischen Muskelkrankheit leidet. Es stehe dabei oft der Vorwurf im Raum, dass einem Arzt doch eigentlich Körper und Psyche sowie richtige Strategien zur Gesunderhaltung bekannt sein müssten. Sprich, der Mediziner ist selbst schuld, wenn er krank wird. Wie die Berichte weiter zeigen, fühlen sich die kranken Ärzte oftmals "abgelehnt und draussen", sie kennen "das bittere Gefühl von Minderwertigkeit und sozialer Isolation". Und sie haben erfahren, dass die Familie Halt und Kraft gibt. Halt geben sollen, so Dr. Kreher, künftig auch die Gespräche in der Selbsthilfegruppe. Es sei ein Schritt aus der Isolation. "Den meisten von uns geht es längst nicht mehr um den Austausch neuester Heilmethoden, wir wollen stattdessen Menschen finden, vielleicht auch Freunde, bei denen wir einfach mal ehrlich rauslassen können, was uns bewegt", sagt die Freiberger Ärztin. Sie wünscht sich zugleich einen Erfahrungsaustausch über den Kreis kranker Ärzte hinaus. Einen Aufruf hat sie im "Sächsischen Ärzteblatt" veröffentlicht, wo sie fragt: "Welche Probleme haben Ärzte, die Kollegen behandeln?" Geantwortet hat bisher niemand.

Gynecol Tribune 2004

Copyright: Cornelia KolbeckNachdruck nur mit Genehmigung