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Keine Papiere, keine Versicherung
Dr. Franz hilft auch Illegalen

Medical Tribune Bericht

BERLIN - "Malteser Migranten Medizin, 1. Etage" - das Schild im Hauseingang in der Aachener Straße in Wilmersdorf weist den Weg zu Dr. Adelheid Franz. Sie betreut Menschen, die medizinischer Hilfe bedürfen, aber nicht krankenversichert sind. Die meisten sind illegal hier. Der Raum ist klein, der Schreibtisch nimmt ein Viertel des Zimmers ein. Dahinter ein hohes Regal mit Verbandsmaterialien, Medikamenten, Windeln, Wörterbüchern, auch Ratgeber zum Ausländerrecht sind zu finden.

Die Allgemeinmedizinerin Dr. Franz praktiziert hier in der vom Malteser Hilfsdienste e.V. getragenen Beratungsstelle seit drei Jahren. Ihre Arbeit umfasst weit mehr als die übliche Diagnostik und Therapie. Dr. Franz ist auch Beraterin, Sozialarbeiterin und Schulter zum Ausweinen. 2003 sind über 1100 Patienten zu ihr gekommen. "Gerade die Mischung aus Beratung und Medizin macht den Reiz der Arbeit aus", erklärt sie. In juristischer Gefahrenzone Manchmal reichen für die "Behandlung" zehn bis 20 Minuten, manchmal braucht Dr. Franz viel mehr Zeit, um körperlichen und seelischen Leiden auf den Grund zu gehen. 90 % ihrer Patienten sind jedoch Ausländer, die sich illegal in Berlin aufhalten. Sie kommen vorwiegend aus Mittel- und Südamerika, aus Asien und Afrika. Mit ihrer Behandlung begibt sich Dr. Franz in eine Gefahrenzone, denn die Unterstützung für Illegale wird nach § 92 Ausländergesetz, dem so genannten Schleuserparagrafen, als Beihilfe strafrechtlich verfolgt.

Zwar ist nach einem Schreiben des Berliner Innensenators die rein medizinische Hilfeleistung straffrei, brisant wird es aber dann, wenn Patienten mehrfach in die Praxis kommen. Die regelmäßige Behandlung, zum Beispiel von Schwangeren oder die Vorsorge bei Kindern, könnte der Ärztin als Wiederholungstat und Vorsatz ausgelegt werden. Doch Dr. Franz macht sich darüber weniger Gedanken als um die Gesundheit ihrer Patienten: "Aufgabe des Arztes ist es doch nicht, den Aufenthaltsstatus zu klären, sondern den Menschen medizinisch zu helfen." Abgesehen davon sei ihrer Erfahrung zufolge sowieso nicht immer festzustellen, ob der oder die vor ihr Sitzende tatsächlich illegal in Deutschland lebt und tatsächlich nicht krankenversichert ist.

"Ich habe zwar diesbezüglich eine gute Menschenkenntnis, aber ich bin sicher, dass manch einer betrügt, zum Beispiel um kostenlos zu einer neuen Brille zu kommen oder vielleicht sogar, um die Praxisgebühr zu umgehen", sagt die Ärztin. Eine Stelle, wo man manches umsonst haben kann, wecke eben auch Begehrlichkeiten. Ein Viertel der Patienten, die in die Beratungsstelle kommen, sind Schwangere, etwa ein Fünftel hat Zahnschmerzen. Ansonsten geht es meist um internistische Probleme, wobei "die Menschen oft erst kommen, wenn die Erkrankung schon weit fortgeschritten ist". In vielen Fällen kann die die Allgemeinärztin die Krankheiten selbst behandeln. Medikamente und Verbandsmaterial bekommt sie dafür kostenlos zur Verfügung gestellt, u.a. von Pharmafirmen und Apotheken. Kollegen helfen gratis weiter Große Wunden, Brüche, Blinddarmentzündungen, Tuberkulose, Tumoren, Magen-Darm-Erkrankungen und die nicht seltene Flügelfell-Bindehautwucherung am Auge gehören allerdings zu den Indikationen, die Hilfe von Spezialisten erfordern. Dann kontaktiert Dr. Franz jene Kollegen aus Klinik und Praxis, von denen sie weiß, dass sie ebenfalls ohne große Worte helfen.

Rund 100 Adressen aus allen Fachrichtungen hat sie inzwischen in ihrer Freiwilligen-Kartei. Alles, was in Handarbeit zu leisten ist, machen die Kollegen unentgeltlich, Leistungen mit Materialverbrauch wie Röntgen oder Labor allerdings kosten Geld. In der Regel verhandelt Dr. Franz dann eine Pauschale, die der Patient möglichst selbst zahlen sollte. Meist sind die Kranken aber nicht einmal dazu finanziell in der Lage. Dann springt die Beratungsstelle ein. Sie übernimmt auch die Kosten für Entbindungen und für die Impfungen von Kindern. Das Geld hierfür kommt vor allem von Spenden. Einen Dolmetscher fordert Dr. Franz übrigens nur selten an. In der Regel spricht sie mit den Patienten oder den Begleitpersonen Deutsch oder Englisch. Manchmal hilft auch der Griff zum Buch "Wie sagt's der Arzt auf Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Türkisch, Serbokroatisch, Russisch und Albanisch?". "Dann wird beiderseits gesucht und gezeigt, die Verständigung klappt meist ganz gut", erklärt die Ärztin lachend.

MTD, Ausgabe 6 / 2004

Copyright: Cornelia KolbeckNachdruck nur mit Genehmigung