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Atteste gegen Abschiebung von Asylbewerbern
Sind deutsche Ärzte zu gefällig?

HAMBURG – Ein starker Verdacht: Ärzte stellen Gefälligkeitsgutachten für Ausländer aus, deren Asylantrag abgelehnt wurde und denen die Abschiebung droht. Medien berichteten schon von Durchsuchungen in Praxen und im Gesundheitsamt. In der Tat klaffen Welten zwischen ärztlichen Attesten und den Stellungnahmen der Polizeiärzte. Jetzt fordert die Ärztekammer Hamburg klare Regelungen.

Die Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse wider besseres Wissen zur Vorlage bei Behörden kann nach § 278 Strafgesetzbuch mit bis zu zwei Jahren Haft oder Geldbuße bestraft werden. R ÜDIGER B AGGER von der Staatsanwaltschaft Hamburg kann sich aber an keinen einzigen Fall erinnern, in dem es zu einer Verurteilung gekommen ist. Wie oft Ärzte wegen Gefälligkeitsgutachten vor Gericht standen, weiß er nicht. Die Staatsanwaltschaft führe darüber keine offizielle Statistik.

Behörden zeigen Kollegen an

Die Anzeigen gegen Ärzte kämen vor allem „von Amts wegen“, zum Beispiel von den Behördenmitarbeitern, die den Ausländer, den der Doktor als krank und nicht abschiebefähig begutachtet hat, munter vor sich stehen sehen, erklärt Oberstaatsanwalt Bagger. Nach Angaben des Hamburger Einwohner-Zentralamtes müssen jährlich von der Hansestadt aus etwa 9000 Ausländer nach Ablehnung ihres Asylantrages die Bundesrepublik verlassen. „Einige Hundert dieser Menschen geben an, behandlungsbedürftig oder nicht flugfähig zu sein“, erklärt dazu Zentralamtssprecher Norbert Smekal. Nur in diesen Fällen müssten Atteste durch die behandelnden niedergelassenen Ärzte ausgestellt werden.

Ärztliche Gutachten einfach ignoriert

Offensichtlich ist die Ausländerbehörde aber skeptisch, was den Wahrheitsgehalt dieser Atteste angeht. In einem Beschluss der Hamburger Ärztekammer heißt es kritisch, „dass wiederholt Patientinnen und Patienten abgeschoben wurden, die sich in ärztlicher Behandlung befanden“. Atteste und Gutachten, die eine Abschiebung aus medizinischen Gründen nicht für vertretbar hielten, seien ignoriert worden. Die Ärztekammer schlug deshalb jetzt dem Hamburger Senat vor, bezüglich der Begutachtung von Migranten die „Grundsätze des Gesundheitsamtes Bremen“ zu übernehmen, wie sie dort seit zweieinhalb Jahren bei Begutachtungen zu Grunde gelegt werden.Darin wird zum Beispiel klar geregelt, dass „gesundheitliche Störungen ... wie auch etwaige gesundheitliche Folgen körperlicher und seelischer Art, die sich aus der Abschiebung ergeben können, ein Abschiebehindernis darstellen“.

Verlangt werden qualifizierte Gutachter. Der Ausländer muss (eventuell mittels Dolmetscher) alles verstehen können. Klargestellt ist außerdem, dass die begutachtenden Ärzte nicht für den Abschiebevorgang selbst zur Verfügung stehen und dass es sich um eine Begutachtung der Reisefähigkeit und nicht der „Transportfähigkeit“ (die z.B. mit Beruhigungstabletten garantiert werden kann, d.R.) handelt. Als wesentlich bezeichnet Amtsleiter Professor Dr. Jochen Zenker die Feststellung, dass die Ärzte ihre Angaben „nach bestem Wissen und Gewissen“ zu machen haben. Für Fälle, in denen die in Bremen ausschließlich vom Gesundheitsamt erstellten Zeugnisse angezweifelt werden, wurde zwischen Gesundheits- und Innensenat vereinbart, eine kurzfristige Fallkonferenz einzuberufen. Notwendig wurde diese bisher nicht.

Auch in Berlin hat es bezüglich der Begutachtung von Migranten jahrelang Streit gegeben, vor allem weil ärztliche Gutachten von der Innenverwaltung diskreditiert und pauschal als Gefälligkeitsgutachten hingestellt wurden. Die Praxis der Begutachtung von Flüchtlingen wurde inzwischen grundlegend geändert.

Stellungnahme nur noch vom "Listenarzt"

Beteiligt am neuen Konzept war auch die Ärztekammer Berlin, die nicht nur eine Liste qualifizierter Ärzte und Psychotherapeuten vorlegte, sondern auch „Mindestkriterien für psychiatrisch-psychologische Stellungnahmen zur Vorlage bei der Ausländerbehörde“ erarbeitete. So muss die Stellungnahme neben der Beschreibung des Beschwerdebildes eine eindeutige Diagnose nach ICD-10, Angaben zu einer empfohlenen weiteren Behandlung sowie eine mittel- bis langfristige Prognose zum Krankheitsverlauf enthalten. Zudem bietet die Kammer seit Anfang dieses Jahres eine Fortbildung an, bei der an zwei Wochenenden Diagnose, Therapie und Begutachtung psychischer Traumafolgen sowie Fragen zum Asyl- und Ausländerrecht behandelt werden. Die Innenverwaltung akzeptiert jetzt die ambulanten Stellungnahmen, sofern sie durch einen „Listenarzt“ erfolgt sind und den Mindestkriterien entsprechen. „Mit diesem Verfahren haben wir gute Erfahrungen gemacht“, erklärt Sybille Golkowski von der Ärztekammer Berlin.

Medical Tribune • 38. Jahrgang • Nr. 46 • 14. November

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